Eva Petrič: Corona rose
Nun bin ich in Bled (Slowenien) bei meiner Familie, weit weg von den Kunstmärkten in Wien und New York, wo meine Projekte pandemiebedingt abgesagt wurden. Isolation, mit unerwarteter Auswirkung.
Vor fünf Jahren durfte ich zusammen mit anderen europäischen Künstler*innen an einer von der ESA (European Space Agency) organisierten Simulation eines Flugs zum Mond teilnehmen. Auch damals waren wir isoliert … doch kein Vergleich mit jetzt. Eigentlich war es das glatte Gegenteil. Denn in der Isolation, die uns in diesen Wochen das Coronavirus auferlegt, gibt es ein völlig neues Gefühl, nein, eine Gewissheit: Wir wissen nun, dass wir miteinander verbunden sind, natürlich auch kompensatorisch durch das Internet, aber vor allem weil wir spürbar an der Natur teilhaben und Demokratie in der Natur der Natur liegt. Die Natur kennt kein Prestige, keine Hierarchie, kein Werturteil – alles menschliche Erfindungen –, sie beruht auf Ordnungen, in denen alle Teile und alle Wesen voneinander abhängig sind, ob sie wollen oder nicht. Auch wir sind zunächst einmal gleichermaßen mit Covid-19 konfrontiert. Gewiss haben die Länder der Welt unterschiedliche Möglichkeiten, dem Virus zu begegnen. Leider. Aber die Tatsache, dass es ungeachtet menschengeschaffener Unterschiede alle attackiert und eine generelle Isolation notwendig macht, kann uns neu verdeutlichen, dass wir zur Natur gehören, zum selben Netzwerk, das zu erhalten wir zu unserer vordringlichen Aufgabe machen sollen, weil es uns erhält. Wir befinden uns in einem übergeordneten Zusammenhalt – wenn da ein Faden reißt, dann bekommen das alle anderen Fäden ab!
Durch meine Installationen aus handgeklöppelten Spitzen ist mir die Beziehung des winzigen Spitzenelements zum gesamten riesigen Netz eine vertraute Denkfigur, doch nun erlebe ich sie auf eigener Haut. Das Spitzengewebe ist mit seinen untereinander verbundenen Schlingen wie ein Regelkreis. Wir sind jetzt gesundheitlich völlig zueinandergeschaltet. Der Erhalt der Gesundheit einer ganzen Gesellschaft hängt davon ab, ob ich bereit bin, mich selbst gesund und den klein- und großräumigen Abstand zu halten.
Ich empfinde dieses neue Körper- und Raumbewusstsein als eine riesige Chance zur Korrektur vieler Dinge, die wir bisher bei unserem Tun und in unserem Sozialverhalten unterlassen haben. In einer neueren Arbeit, die ich in Wien begann und in Bled fertiggestellt habe, sind die Spitzen in mehreren Kreisen angeordnet und ihre Gesamtform war ursprünglich von inneren Blumenbildern gespeist. Doch allmählich wurde mir klar, dass ich wohl unbewusst Abbilder der Grundstruktur des Coronavirus geschaffen hatte. Ich nannte diese Installation „Corona rose“. Die Dornen dieser Rose verursachen Leid, manchmal unermessliches Leid, aber die Rosenblüte selbst erinnert uns an die Idee der Schönheit. Diese Idee soll sich durchsetzen, der neu entdeckten Grundwert Schönheit soll die Hoffnung tragen. Ich hoffe. Hoffe, dass die emotionale Nähe, die wir jetzt leben, und das wache Wissen, dass wir voneinander abhängen, den Weg ebnen für eine bessere Zeit nach der Epidemie, eine Zeit, in der wir so elementare Dinge wieder schätzen wie mit Familienmitgliedern und Freunden beisammen zu sein, ihnen die Hand reichen und sie umarmen zu können, eine Zeit des einfachen, vollen Glücks, das nicht im Konsum möglichst vieler, möglichst exotischer Güter besteht, sondern in der Güte des bewussten Zusammenhalts. Es ist die Stunde der Entdeckung der Schönheit. Künstler werden sie weiter pflegen, jetzt und nach der Krise. Was von Corona bleiben möge, ist die blühende Rose.
(Übersetzt aus dem Englischen ins Deutsche von Dr. Reinhart Hosch)